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TRAILER:

Waren die interessantesten und erfolgreichsten 12inches des Labels Westside bislang als nahtlos ineinander verwobene Mix-Versionen auf den LP's "Best Beats From Westside Vol. 1-3" enthalten und lieferten einen repräsentativen Querschnitt durch Produktionen junger und innovativer Elektronik-Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet von 1984-1987, so liegt jetzt erstmals eine Auswahl von Dance-Trax als Compact Disc vor:

WESTSIDE DIGITAL COLLECTION OF 12INCH ORIGINALS

Vorspann: Allgemeingültig ist die Ansicht, daß die Geschichte der Independent Labels (mit authentischer, nonkonformer Musik) in den USA mit den kleine Black Labels begann. In England setzten im letzten Jahrzehnt dann Punk und New Wave neue Akzente. Wieder in den USA erblüh(t)en HiNRG, Funk, Rap, Hip-Hop oder House Music - um nur einige Trends zu erwähnen - zuerst bei den "indies". In Deutschland gab es zwar schon ewige Zeiten kleine Labels, diese allerdings meist nur als Ableger der großen Industriefirmen und für spezielle Randgebiete (Jazz, Folk, etc.). Die elektronische Musik, als Rock-Avantgarde auftretend, die Sounds von Kraftwerk, Tangerine Dream oder Can, Pioniere in ihrer Art, waren vorhanden, aber letztendlich an die Industrie, die "major companies" und ihre Veröffentlichungspolitik gebunden. Erst in dem Maße, in dem sich Subszenen herausbildeten, die Musiker zu Produzenten wurden und Teilbereiche der künstlerischen wie produktionstechnischen Apparates in Eigenregie gestaltet werden konnten, war die Stunde der Independent Labels gekommen. Ein kreativer, offener Träger für Entwicklungsmöglichkeiten und neue Ausdrucksformen war entstanden.

Halbtotale: Die Frankfurter Szene in der Retrospektive:
Wie immer begann die ganze Chose mit Jazz und Blues - von der Barrelhouse Jazzband bis zu Albert Mangelsdorff. Dazwischen Beat und die heimischen Gewächse. Dann die künstlerische Achse Wien-Frankfurt mit Kurt Hauenstein's Supermax, Ambros, Kolonovits, Tokyo u.v.a. Nach dem "Kulturaustausch" dann die Lokalmatadore: Rodgau Monotones, Flatsch, etc. Alles zumeist - früher oder später - bei der marktbeherrschenden Industrie. Die kleinen Labels aber erkannten und "machten" die Trends, die nicht kommerzangepaßte und weit über "die Szene" hinaus erfolg- und folgenreiche Musik. Da sind die Drähte kürzer und heißer. 1984 gründeten zwei branchenerfahrene, mit den Interaktionen der Ffm-Subszene vertraute, unternehmungslustige Typen ihre eigene Schallplatten-Company und damit auch ihr erstes Label Westside - als Plattform für elektronische Dance-Sounds und Musiker/Gruppen/Projekte aus dem Rhein-Main-Einzugsgebiet.

Nahaufnahmen (und hiermit geht's dann zur Sache):
Feel It Right ist eine elektronische Tanzhymne mit homogenen Synthesizerharmonien, heftigen Drum-Patterns und einer durchschlagenden Basslinie. In den Discotheken bewährte sich dieses Erstlingswerk von AXODRY als Tanzflächenfüller, die Nummer entwickelte sich zum Erfolg in den Independent Charts. Hauptsächlich stehen Talla (lyrics, dub effects), Ralf Henrich (vocals, computer programming) und Axel Henninger als Producer hinter Westsides erstem Szene Hit.
TWO OF CHINA gingen aus dem AXODRY-Split hervor, bevorzugen die härte Gangart. Besondere Anerkennung fanden sie zunächst durch den Erfolg ihrer Coverversion des Liaisons Dangereuses Independent Dauerbrenners "Los Ninos Del Parque". Telk Mee ist die erste Veröffentlichung von TWO OF CHINA. Die noch immer zu selten aufgegriffene Medienparallelität von Zeitströmungen (Umwelt, Politik, Freizeitverhalten, Lebensgefühl, etc.) reflektierenden Sounds zu Kinovisionen - als visuellem Gegenpol und Ergänzung von Musik. kurz: die wiederhergestellte Einheit von Bildern und Klängen - könnte bei Telk Mee Früchte tragen. Die melodischen, asiatisch inspirierten Klangbilder, der Kontrast zum Maschinengewehr-Beat, die Kampfsport- und Kamikaze-Motorik,all das ist nicht weit von Szenen aus "Apocalypse Now" und "The Deer Hunter" entfernt. Die makabere, zynische Schlußzeile: "wir opfern unsere Körper gern" (hoffentlich nicht im losgelösten Disco-Inferno!) läßt genügend Rückschlüsse zu. Die hier veröffentlichte "Wild Version" ist ein Special Dance Edit von Theo Werding (Produzent der ersten Hubert Kah-Erfolge), konzipiert von ex-AXODRY-Impulsgeber Talla.
Secret Times des Electro-Dance-Quintetts FEW BOYS um Komponist und Texter Frank Bülow ist eine hervorstechende Talentprobe des über den Ffm-Circuit hinaus mit 16bit und OFF bekannt gewordenen Michael Münzing (Coproducer: Axel Henninger). Nach einem Gimmick-Intro (Extra Thanks: Johann Sebastian Bach) würde mancher - informationsfreie - Hörer Secret Times der Brit-Pop-Wave (DEPECHE MODE etwa) zuordnen. Eine programmatische, konzeptionell strenge, aber rhythmisch gut kommende Nummer.


Fusion-Sound gängiger und experimenteller Spielarten, der sich bei Vollcomputerisierung auch melancholische Soundtrackharmonien erlaubt, stellen MOSKWA TV seit ihrer Gründung im Frühjahr 1985 vor. Die Maxi-Release Tekno Talk erzeugte mit 30.000 verkauften Exemplaren, Notierung in den Billboard-Dance-Charts und hoher Kritikerakzeptanz (besonders für die unmittelbar folgende LP "Dynamics and Discipline") in den europäischen und US-Fachmagazinen beachtliche Resonanz. Das erneut von Talla angeregte Projekt schlägt eine Schneise in die Hip Hop - beherrschte Szene, liefert Westside den ersten ausgewachsenen Indie-Hit. Der hintergründig gewitzte, intelligente Techno-Dance-Pop von MOSKWA TV bestätigt seine Anspielung: am Ende des Tekno Talk fällt die Bombe. Der kosmopolitische, dem Verdrängungs-Kommerz-Pop abholde Standpunkt wird variantenreich nachempfindbar auch auf den Alben "Dynamics and Discipline" und "Blue Planet".
MCL (Kürzel für: Microchip League) werden - neben anderen neuen Acts - auf dem eigens geschaffenen Sublabel Future Dance veröffentlicht. Die Synthesizer rocken, die Chips hüpfen. Westside bricht mit MCL und den Future Dance-Produktionen "soundrevolutionierend" in die US-Hip-Hop-Phalanx ein, verarbeitet die Sound-Crew doch locker auch den derzeit angesagten Chicagoer House-Music-Stil.
Communicate und Satellite, mit denen MCL gleich zweimal präsent sind, zählen zu den geschätzten Razormaid-Mixes von Joseph Watt (San Francisco). Den cineastischen Ergänzungstrip zu den bewußt technologisch-medial gewählten Songtiteln könnte der - bislang unterschätzte, vielleicht schon bald kultreife - Walt Disney-Trick-Realspielfilm "Tron" bilden, der Laser-Design, CAD (Computer Aided Design) und ähnliche bahnbrechende Techniken im SF-Kostüm demonstrierte. MCL jedenfalls sind sendebereit und empfangsgerüstet mit ihrer "sophisticated electronic hardcore dance music".
Den bisherigen Kulminationspunkt auf dem Weg zur tanzbaren Totalcomputerisierung stellt CENTRAL UNIT mit Computer Music dar. Das Voice Computer Control System (VCCS) des Commodore Amiga besorgt nicht nur den trendscharfen Electronic Sound, sondern auch die künstlichen Stimmodulationen und das Cover-Design der entsprechenden Maxi.
A.C.E. featuring MOSKWA TV's "Generator 7/8": ein bisher unveröffentlichter Bonus-Track, zugleich eine übergreifende, label-interne Neuinterpretation. In maliziöse Melodik gekleidet, warnte schon der Originalsong (Thema: Problematik, Sicherheit großtechnischer Anlagen, insbesondere Kernreaktoren): "...you better pray to heaven's gate". Generator 7/8 wurde (nicht) umsonst (nicht) nur in Szenekreisen als Vorahnung der Tschernobyl-Katastrophe verstanden.



Gegenschnitt:

Genauer betrachtet handelt es sich hier aber um einen Rückkopplungseffekt, ein musikalisches wie stilistisches Feedback. Denn der House Sound entstand nicht als völlig eigenständige, gegenüber anderer Musik autonome Bewegung. Die Inhaber von Trax-Records und DJ-International, den dominierenden House-Labels in Chicago, verweisen auf Einflüsse deutscher Techno-Gruppen wie MOSKWA TV, CCCP, Kraftwerk und anderen Euro-Beat-Gruppen. Westside beispielsweise lieferte an einen Großhändler in Chicago bemerkenswerte Stückzahlen von den 12inches Tekno Talk (als Original und im alternativen Bombing Mix), Generator 7/8 und zwei Versionen von Feel It Right sowie TWO OF CHINA's Los Ninos Del Parque. Viele DJs in Chicago fuhren auf derartigen Stoff ab, wurden selbst kreativ - vor allen durch experimentelle Verwendung der Sampling-Methode und selbstfabrizierte Mixes. So verifizieren sich in der Ausprägung des House Sounds Reflexe der deutschen Techno-Dance-Innovation.
Der Club "Warehouse" in Chicago machte den neuen "Stil" populär und regte die Namensfindung an.

Wolfgang Fiedler


MUSIC = SOUND + MIND


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